Tanzwut


2011, 2013, 2017

Tanzwut

Energiegeladene Musik zwischen Industrial, Rock und historischen Notationen, ein geschickt ausgearbeitetes Bühnenbild, selbst entworfene Live-Outfits von Kettenhemd bis Metallbeschlag und Lendenschurz, einzigartige Instrumente und eine fantastische Choreografie sind die Zutaten für die schweißtreibenden Tanzwut-Shows, die neben dem musikalischem Genuss auch einen Hauch mittelalterlicher Ekstase versprühen.

Jede Band behauptet von sich, etwas Besonderes zu sein – schön wär’s, kann man da nur sagen. Im Fall von Tanzwut besteht daran jedoch keinerlei Zweifel, die Berliner sind eine echte Ausnahmeerscheinung. Welche andere Band kann von sich behaupten, den Teufel in ihren Reihen zu haben Hier fungiert er als Sänger, Spaßmacher, Charmeur und manchmal auch als Provokateur. Dabei ist der Teufel genau genommen ein Mensch wie du und ich. Er hat mal gute und mal schlechte Laune, mag lustige Witze, hasst Aufschneider und Dummquatscher und liebt Wein, Weib und (vor allem) Gesang. Über Satanismus kann er dagegen nur den Kopf schütteln, er hat besseres zu tun, schließlich ist er Mitglied bei Tanzwut.

Ihren Namen wählten die Mannen vom Prenzlauer Berg mit Bedacht, er stammt aus der Zeit des Mittelalters. Zwischen 1348 und 51 wütete die Pest in Europa. Die Spielleute trugen die Nachricht von der drohenden Katastrophe von Stadt zu Stadt. Angesichts des bevorstehenden Armageddons rieten sie den Leuten, sich in den Rausch des Tanzes zu stürzen. Tausende Menschen folgten dieser Aufforderung, verscherbelten ihr Hab und Gut und vergnügten sich im Hier und Jetzt. „Siebzig Prozent von ihnen waren Frauen, das müssen himmlische Zustände gewesen sein“, vermutet Castus, bei den Hauptstädtern für das Dudelsackblasen zuständig.

Zurück in die Gegenwart, wo der Anblick von Menschen im Tanzrausch für die verschworenen Sieben eher die Regel als Ausnahme ist. Von der Bühne aus erlebten sie hyperventilierende Teenie-Girls, Rocker, die sich im Schlamm wälzten und erhitzte Fanmassen, die bullige Security-Männer durch die Luft fliegen ließen. Nicht selten warfen entzückte Anhängerinnen auch mit Unterwäsche. Die gesammelten Trophäen sind übrigens zu besichtigen, sie hängen über der Tür zu ihrem Proberaum. „Für uns als Musiker ist diese Art von Ekstase total wichtig“, verrät Basser Wim.

Die Musiker von Tanzwut haben es dem Zuhörer in ihrem bisherigen Schaffen nie leicht gemacht, ihre Musik dem üblichen Schubladendenken einzuordnen. So erwartet den Musikfreund eine aberwitzige und erfrischende Mixtur an Stilen, die zeigt, dass Musik abseits der üblichen Kategorisierungen möglich ist.

Es begann alles mit experimentellem Electro-Industrial („Tanzwut“-1999), wurde zunehmend rockiger und melodiöser („Im Labyrinth der Sinne“-2000), um dann mit Elementen von Ska bis Metal zu zeigen, dass es keine Grenzen gibt, die nicht eingerissen werden können („Ihr wolltet Spass“-2003). Das ganze natürlich immer begleitet von den – in eigener Werkstatt gefertigten – Dudelsäcken, die der Band ihren ganz eigenen charakteristischen Sound geben.

Auf dem aktuellen Doppelalbum SCHATTENREITER (erschienen im April 2006) wird dieser Weg nun frisch und frech und mit deutlich härterer Gangart weitergeführt. Die Doppel-CD beginnt mit dem Titelsong „Schattenreiter“, einer krachenden Industrial-Metal-Nummer, die u.a. zeigt, dass Breakbeats auch live getrommelt werden können. Dieser Song entstand im Angedenken an alle, die uns in unserem Leben ein Stück begleitet und uns in dieser kurzen Zeit nachhaltig bis heute beeinflusst haben.

Doch das ist natürlich nur eine musikalische Facette mit der uns Tanzwut diesmal beglücken. Das Spektrum reicht von Rock’n’Roll „Im tiefen Gras“, einer bitterbösen Moritat „Kaltes Grauen“, harten Uptempo-Nummern, wie „Vulkan“, punkigen Midtempo-Songs „Du sagst“ bis zum trashigen HC-Metal in der „Geisterstunde“.

Selbstverständlich wird auch die eigene lieb gewonnene Tradition, einen Klassiker der deutschen Musikkultur zu „bearbeiten“ fortgeführt. Gab bisher L.v. Beethoven die Vorlagen, so haben sich Tanzwut nun der berühmten „Toccata“ in d-Moll von J.S. Bach angenommen, um daraus eine wuchtige Hymne entstehen zu lassen. Eigens dazu sind sie mit ihren Aufnahmegeräten in eine Berliner Kirche gezogen.Während die findigen Musiker beim Debüt „Tanzwut“ (1999) und seinem Nachfolger „Im Labyrinth der Sinne“ (2000) die Genres Elektro, Rock und Mittelalter kombinierten, lautete die Devise für den dritten Silberling „Ihr Wolltet Spass“: Alles geht. So entstanden Songs wie „Fatue“, wo Beethovens Fünfte, die „Vagantenbeichte“ aus der „Carmina Burana“ und ein Text von Hildegard von Bingen mit krachendem Trash Metal verbunden wird. Etwas ähnliches hatten Tanzwut schon einmal gemacht. Damals „frisierte“ die Band Beethovens „Freude schöner Götterfunken“, entstanden ist eine Dudelsackversion, die das Beethoven-Stück mit Mephisto-Zitaten aus Goethes „Faust“ vermählt. Dieser Song ist bis heute ein Höhepunkt ihrer Show, mit der sie sich zu Hause und im europäischen Ausland viele Freunde gemacht haben.

Die märkischen Spielleute sind süchtig nach der Straße, neben Tanzwut musizieren die Musiker auch noch bei Corvus Corax. Hier dominieren Dudelsäcke und Percussioninstrumente, während ihre Lieder auf historischen Notationen und alten Sprachen beruhen.